Donnerstag, 18. April 2019

Buchrezension "Unter der Haut"


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Der charismatische Jude Josef Eisenstein verbringt seine Jugendjahre im vorkrieglichen Berlin. Er lebt bei seiner Tante, die ihn mehr oder weniger sich selbst überlässt. Schon früh entdeckt er seine Passion für Bücher. Indem er sie liest, liebkost oder betrachtet, bekommt er die Zuwendung, die ihm bisher kein Lebewesen geben konnte. Immer bizarrer, immer krimineller werden seine Methoden, um an neuen Lesestoff zu kommen. Eines Tages schenkte ihm ein Buch das, was bisher kein Mensch bei Josef schaffte: Er empfand durch den bloßen Besitz dieses Meisterwerkes, für ein paar wenige Tage seines Lebens, die vollkommene Glückseligkeit. Fortan tut er alles, um noch einmal diesen Zustand der Ektase zu fühlen, es will ihm nicht gelingen. Es dauert mehrere schmerzliche Jahre, eingebettet in einen schrecklichen Weltkrieg, bis er schließlich hinter die Formel seines persönlichen Glücks kommt und es irgendwann selbst herbeiführen kann.



Als er 1969 in New York den Literaturstudenten Jonathan Rosen kennenlernt, hat er seine Buchkunst perfektioniert. Josef, ein wahrlicher Meister auf diesem Gebiet, nur wenige exquisite Kunden profitieren von seiner Virtuosität.
In seiner „Freizeit“ nimmt Dandy Josef den jungen Jonathan unter seine Fittiche und verhilft ihm zu einem grandiosen Sommer voller Leidenschaften, Frauen, Bücher, Musik und Reisen, eine Welt der Kunst und des Geistes. Jonathan ist fasziniert von dem geheimnisvollen älteren Mann, der oft tagelang weg ist, der ihn psychisch verletzt und ihm gleichzeitig Zuneigung schenkt und dessen spurloses Verschwinden am Ende des Sommers eine tiefe Wunde in Jonathans Seele hinterlässt. 



Erst Jahre später, in einem fernen Land, auf einem anderen Kontinent,  erfährt Jonathan die ganze Wahrheit über einen schrecklichen Verdacht, der schon im Jahr 69 aufkeimte und in großen Stücken sein Leben und Werden beeinflusste. Und doch möchte er diese Zeit seines „definitiven“ Sommers voller Liebe, Obsessionen und Bücher nicht missen und tief drinnen ist seine Zuneigung zum Freund von damals nie ganz verklungen.



„Die atemberaubende Geschichte eines bibliophilen Mörders“, dieses Zitat las ich auf der Coverrückseite des Romans. Je mehr Zeit ich mit Josef Eisenstein verbrachte, desto stärker geriet ich in seinen Bann – seine Morde, so grausam sie auch sein mochten, wurden selbst bei mir zu einem notwendigen Übel – ich wollte Josefs Perfektion miterleben, wollte selbst einen kleinen Hauch der besagten Glückseligkeit abhaben, wollte selbst einmal Buchleder riechen, die Sanftheit fühlen, Seiten streicheln…  Diesem Mann hätte ich vermutlich alles verziehen… so stark hat sein Charisma auch bei mir zugeschlagen, obwohl nichts, gar nichts von ihm Sympathie verdient hätte.



Die poetische Sprache, die Liebe, mit der literarische Werke beschrieben wurden – es war eine Freude „Unter der Haut“ zu lesen. Nebenher blicken wir Leser auf die wohl schwärzeste Zeit deutscher Geschichte zurück und finden hier eine Thrillergeschichte, die trotz aller Grausamkeit genial und faszinierend zugleich ausgearbeitet wurde. Es fiel mir schwer, das Buch aus der Hand zu legen.
Ja, die Ähnlichkeit zu Patrick Süskinds „Parfum“ ist indiskutabel. Gunnar Kaiser hat dieses Rad definitiv nicht neu erfunden. Aber sobald Josefs Eisensteins Bann zugeschlagen hat, werden sie es dem Autor verzeihen. Ich jedenfalls tat es und gebe somit eine absolute Leseempfehlung.



Die Daten zum Buch
  • Gebundene Ausgabe/Taschenbuch: 528 Seiten
  • Verlag: Berlin Verlag
  • ISBN: 978-3827013750
  • Gebundene Ausgabe 22 Euro / Taschenbuch 12 Euro erhältlich bei allen gängigen Buch- und Onlinebuchhandlungen.


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