Sonntag, 21. Juli 2019

Buchrezension "Tierreich"




1898 – 1917 „Tierreich“ erzählt die Geschichte der kleinen Eleonore, die in sehr ärmlichen Verhältnissen aufwächst. Ihre Eltern bewirtschaften einen Selbstversorgerhof in der französischen Provinz. Das karge Leben ist geprägt von schwerer körperlicher Arbeit.  Mühsam ernähren sie ein paar Tiere. Die wenigen erwirtschafteten Erträge reichen gerade so zum Überleben. Eleonores  Vater ist ein wortkarger Mensch. Er kann Gefühle und Emotionen nur schwer zeigen. Die Mutter hadert mit ihrem Leben als Bäuerin, mit ihrem Mann, mit ihrer Tochter. Lediglich ihr krankhafter, bigotter Glauben ist stets präsent. So vergehen die Jahre im gleichbleibenden, lieblosen, toxischen Trott, stets umrahmt vom Dreck und Schmutz des Bauernhofes, sowie den seelischen Grausamkeiten von Eleonores Erzeugerin. Als der Vater dahinsiecht und stirbt, übernimmt sein Neffe die Rolle des Hausherrn, sehr zum Verdruss der Bäuerin. Sie möchte ihn loshaben. Das Schicksal spielt ihr in die Karten, als Marcel zum Kriegsdienst eingezogen wird. Doch er kommt zurück, wenn auch seelisch gebrochen und grausam verstümmelt. Eleonore und Marcel heiraten. Dafür rächt sich die Bäuerin selbst noch durch ihren Tod…



1981: Einst legten Eleonore und Marcel den Grundstein für den Schweinezucht- und Mastbetrieb, der sich aus der kärglichen Landwirtschaft von damals entwickelte. Nun führen ihr Sohn Henri als Patriarch und die beiden Enkel Serge und Joel den Betrieb, eine Sittenkonstellation  von vier Generationen.  Wie 80 Jahre zuvor krankt die Familie an Leib und Seele, verfault von innen. Der giftige Stachel der Bäuerin wurde weitervererbt. Es kriecht in ihr Leben, in den Hof, in ihre Beziehungen… Es wird am Ende alles zerstören…

Jean Babtiste Del Amo vermag Dinge recht nüchtern und sehr detailgetreu zu beschreiben. Das scheint er mit Vorliebe bei Krankheits- und Sterbeprozessen, sowie bei den Ausscheidungen von Menschen und Tieren zu tun. Der Leser wird von diversen Körperflüssigkeiten nahezu überschwemmt. Kaum eine Seite ohne Auswurf, Urin, Gülle oder hormonellen Hinterlassenschaften. Manchmal wollte ich mir nach dem Lesen einfach nur die Hände waschen, so authentisch stellte Del Amo beispielsweise den Schweinestallgeruch dar.



Warum habe ich diesen Roman gelesen, der vor Dreck und unsympathischen Protagonisten nur so strotzte?
Zum einen faszinierte mich das Bild der frühen Landwirtschaft, die so ähnlich auch von meiner Familie praktiziert wurde. Fast schade, als das Buch ins Jahr 1981 switchte. Ich brauchte eine kleine Eingewöhnungsphase für diesen modernen Part, der die Geschichte jedoch gut weiterführte. Wie Leser bekommen außerdem einen interessanten Einblick in die Massentierhaltung, mit all ihren negativen Aspekten.



Zum anderen gab mir Del Amo das Gefühl, dass nur ich hinter die Fassade des Einzelnen blicken durfte, um hinter dessen Geheimnisse und Gedankengänge zu kommen, denn Probleme jeglicher Art wurden im Buch konsequent verschwiegen. Nur der Leser erfährt, wie die Dinge wirklich standen.   Psychologisch spannend und gut umgesetzt. Oft in kleinen Häppchen serviert und manchmal recht spät aufgedeckt, einiges einfach unter den Tisch gekehrt. Ich kann nur sagen: Gut gemacht, Del Amo.

Ich möchte dem Buch die vollen 5 Bewertungssterne geben. Alle, die ihren Ekel überwinden können, sollten diese Familientragödie lesen. Es lohnt sich. Ein Heimatroman der ganz besonderen Art.   


Die Daten zum Buch: 

  • Gebundene Ausgabe 440 Seiten
  • Verlag: Matthes & Seitz Berlin
  • ISBN: 978-3957576866
  • Preis: 26 Euro in allen gängigen Buch- und Onlinebuchhandlungen

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