Die zarte Romanze zwischen dem kauzigen Lehrer Jakob Bach
und seiner Schülerin Klara Grimm beginnt wie im Märchen. Doch die
eingeschworene Gnadentaler Dorfgemeinschaft, Nachfahren deutscher Immigranten
nach Russland, billigt diese skandalöse Beziehung nicht. Als sie ihnen die
rechtmäßige Eheschließung verweigern, zieht sich das Paar auf Klaras
elterliches Anwesen zurück, einem kleinen versteckten Einsiedlerhof am anderen
Flussufer der Wolga. Dort fristen sie fortan ein entbehrungsreiches, mit
schwerer Arbeit verbundenes, einsames Leben. Die folgenden Schrecken und Nöte
des ersten Weltkrieges bekommen die beiden nur ganz am Rande mit. Doch auch sie
werden späte Opfer dieses Grauens und plötzlich steht Bach vor den Scherben
seines Lebens. Die geliebte Frau tot, das kleine Bündel Mensch in seinen Armen
hilflos, kpl. auf ihn angewiesen. An der Seite von Bach sind Annchens
Kinderjahre voller Höhen und Tiefen, voller Improvisationen, neuen Ideen,
etlichen Überlebenskämpfen… Als Wassja zu ihrer kleinen Gemeinschaft stößt,
beginnt eine Epoche mit ganz neuen Herausforderungen, aber auch mit Glück und
Freude. Und während die Wolga im stetigen Jahresrhythmus gefriert, auftaut und wieder gefriert,
verändert ein Mann namens Stalin das Leben der Wolgadeutschen für alle Zeiten…
Dieser ungewöhnliche Geschichtsunterricht über die
Autonome Sozialistische Sowjetrepublik der Wolgadeutschen hat mich sehr bewegt.
Gusel Jachina ist ein Roman gelungen, den ich gerne weiterempfehlen möchte. Er
überzeugte neben der Sprache und Handlung durch einen ganz besonderen Clou, den
ich bisher in keinem anderen Buch fand: Wenn Bachs Geschichte an die Grenze
menschlicher Logik gelangte, half sich Gusel mit Märchenelementen weiter. Diese
magische Integration gelang deshalb so gut, weil ihre Buchcharaktere von Anfang
an überzogen dargestellt wurden. So genoss ich es regelrecht, wenn Äpfelbäumchen
ganzjährig Früchte trugen oder Menschen unter Wasser atmen konnten. Ich fand
diese Sequenzen großartig. Aber ich weiß, sie werden nicht bei jedem Leser
Anklang finden.
Wolgakinder wurde in 5 Teile gegliedert. In jeweils einem
Kapitel pro Abschnitt, taucht ER auf, Stalin. ER, der in diesen Jahren zwischen
den Weltkriegen eine Diktatur aufbaute und der mit SEINEN Säuberungen große Not
über das Land brachte. Wir erleben in 5 einzelnen Schlüsselszenen, wie ER SEINE
Macht festigte, SEINEM Personenkult frönte und nach Lust und Laune über das Schicksal der
Menschen bestimmte. Für mich waren es recht wertvolle Kapitel, schildern sie
doch, die Szenen mit Bach ausgenommen, realistische Geschichte eines Landabschnitts,
der untrennbar mit Deutschland verbunden ist und nicht vergessen werden sollte.
Gusel Jachinas Sprache ist blumig und sie beschreibt
Details gerne ausführlich. Ein paar Mal sprengte sie jedoch mein
Durchhaltevermögen beim Lesen. So wurde beispielsweise eine Billardpartie oder
eine Fischfütterung zur Geduldsprobe, bei denen ich die Seiten nur noch oberflächlich
überflog. Mein einziger Kritikpunkt in diesem tollen Roman. Er wiegt leider so
stark, um einen Bewertungsstern abzuziehen. So gibt es von mir 4 Sterne und trotzdem
eine absolute Leseempfehlung.
Die Daten zum Buch
- Gebundene Ausgabe: 591 Seiten
- Verlag: Aufbau-Verlag
- ISBN: 978-3351037598
- 24 Euro in allen gängigen Buch- und Onlinebuchhandlungen
Vielen Dank an Netgalley und den Aufbau-Verlag,
die mir ein kostenloses Leseexemplar zur Verfügung stellten!
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