Die Erstgeborene des renommierten Pferdezuchtgestüts
Blackwood Manor kommt mit einem seltenen Gendefekt zur Welt: Albinismus. Lilly,
eine Abscheulichkeit, die man auf dem Dachboden des Gutshofs verbergen muss,
wie ihre bigotte Mutter findet. Lillys labiler Vater fügt sich seiner
dominanten Ehefrau und billigt das Versteckspiel. Er unternimmt auch nichts,
als diese ihre kleine Tochter im Alter von neun Jahren an einen Wanderzirkus
verkauft. Seinen Kummer und Schmerz ertränkt er im Alkohol.
So landet das kleine Mädchen als Attraktion in der
Freakshow – einem Kuriositätenkabinett, in dem sie jeder zahlende Besucher
anglotzen darf. Fortan besteht ihr Leben aus Reisen, Vorstellungen und dem
demütigenden Gefühl, für Geld zur Show gestellt zu werden. Es gibt kein
Entrinnen, jegliche Aufbegehrung wird durch Gewalt ihres „Käufers“, dem Chef
der Freakshow, unterdrückt. So fügt sich Lilly ihrem Schicksal. Aber sie erlebt
auch schöne Momente. Da ist ihre große Liebe zu den Zirkuselefanten und deren
Dompteur, die ihr so unendlich viel geben. Und eines Tages wird ein Traum wahr.
Sie bekommt eine eigene Elefantennummer und verhilft dem Zirkus dadurch zu
großem Ruhm. Doch das Glück währt nicht lange und ein schlimmer Unfall
verändert das Leben jedes einzelnen Artisten auf eine tragische Weise.
Parallel zu Lillys Geschichte springt das Buch immer
wieder zurück nach Blackwood Manor. Wir lernen Julia kennen. Sie ist die
jüngere Schwester der taffen Albinofrau. Nach dem Tod ihrer Eltern möchte sie
als Alleinerbin die erfolgreiche Pferdezucht weiterführen. Ein ortsansässiger
Tierarzt und ein langjähriger Angestellter des Gutshofs helfen ihr beim Start.
Julias Kindheit war unglücklich. Sie litt sehr unter ihrer kaltherzigen und
strengen Mutter und ihr Vater ignorierte sie weitestgehend. Der Umzug zurück
ins Elternhaus reißt viele alte Wunden erneut auf. Immer noch hängen Mutters Verbote und Regeln
wie eine dunkle Gewitterwolke über Julia. Warum gab es verschlossene Türen,
warum durfte sie als kleines Mädchen nicht alle Räume des Hauses betreten?
Welches Geheimnis hüteten ihre Eltern? Julia sucht nach Antworten und findet
sie. Die Erkenntnis überrollt sie wie eine Dampfwalze. Der Alptraum ist viel
schlimmer, als sie es sich je vorstellen konnte….
Nachdem der letzte Track meines Hörbuchs „Die bittere
Gabe“ verklungen ist, bin ich immer noch erschüttert über Lillys Geschichte.
Ein Paradebeispiel für menschliche Abscheulichkeiten, welche sich durch den
ganzen Roman ziehen. Nicht nur einmal kamen mir Tränen in die Augen.
Da ist die Mutter, die ihre eigenen Schuld und ihr
schlechtes Gewissen so perfekt auf ihre Mitmenschen übertragen konnte, dass ihr
Verhalten und ihre Worte selbst mir, dem Hörer, Übelkeit bereiteten. Und da
sind die Verantwortlichen des Zirkus, die ihre „Waren“ bis aufs Blut ausbeuten,
egal, welchen Schaden eine menschliche Seele dabei nimmt. Die bittere Gabe
zeigt aber auch die dreckige Sensationslust der Menschen. Es ist dieselbe, die
sich heute noch z.B. beim Gaffen von Verkehrsunfällen zeigt. Menschen können grausam sein.
Vielleicht hat Wisemann Lilly und Julia einen Tacken zu
viel Gutmensch verpasst – mag sein – ich jedenfalls saugte jedes Wort, jede
Geste, welche einen Anflug von Glück andeuteten, regelrecht auf. Am Schluss
angelangt, verlangte ich unbedingt nach einem Happy End. Habe ich es bekommen? Nun, dann müsste ich spoilern - das hat kein Neuleser verdient.
Ein Wort zu Julias Geschichte: Sie ist recht
vorhersehbar, denn für den Hörer, bzw. den Leser ist klar, welches Geheimnis
sie aufdeckt. Auch die finale Information, der Showdown des Romans, hat mich
weniger überrascht, ich ahnte die Wahrheit bereits, konnte mir aber zu keiner
Zeit vorstellen, wie sich die Story bis dorthin entwickeln würde. Letztendlich
ziehe ich meinen Hut, denn die Autorin hat sehr gute Arbeit geleistet und die finale
Ausarbeitung wurde schlüssig und glaubwürdig umgesetzt.
Eine vorhersehbare Story? Ja, damit kann man gut umgehen.
Die Dramatik lag in der Zeit, die Julia brauchte, um endlich hinter den
Alptraum zu blicken. Mehrere Male bedauerte ich sogar, dass die Geschichte
unterbrach und zurück zu Lilly
wechselte.
Die Hörbuchsprecherin Katrin Zimmermann las mit viel
Gefühl und verhalf dem Buch durch ihre Stimme zur Dramatik, welches es verdient
hat.
Bei „Die bittere Gabe“ würde ich das Hörbuch den
bedruckten Seiten vorziehen.
Absolute Lese- bzw. Hörempfehlung!
Die Daten zum Hörbuch
- Hördauer: 13 Stunden und 58 Minuten
- Erhältlich bei Audible
Die Daten zum Buch:
- Taschenbuch: 464 Seiten
- Piper-Verlag
- ISBN: 978-3492312219
- 11 Euro in allen gängigen Buch- und Onlinebuchhandlungen